Eisenbahn-Geschichte Freisings

 

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Der folgende Artikel erschien am 8.11.1988 in der Süddeutschen Zeitung/Freisinger Neueste Nachrichten

Vor 130 Jahren: Freising - München dreimal täglich

Historische Kursbücher der Eisenbahn/Von Franz Strobl

Wenn wir heute für die Fahrt nach München unter 29 S-Bahn-Abfahrten wählen können (Montag -Freitag sogar 40, dazu 22 Schnell- und Bezirkszüge), so denken wir kaum darüber nach, wie vor dem Bau der Eisenbahn solche Reisen ausgesehen haben mögen.

Das "Eisenbahn-, Post- und Dampfschiff-Cours-Buch" von 1855 gibt Auskunft: In der Tabelle der "Post-Course" findet man für die Strecke München -Landshut angegeben: 9 Meilen, Abgang täglich 12 Uhr mittags und 11 Uhr abends, sowie täglich 5 Uhr früh, Ankunft nach 7 Stunden, Personengeld 4 Gulden 8 Kreuzer. Für die Strecke Freising - München musste man also im Postkutschen-Zeitalter offenbar an die 3 1/2 Stunden rechnen. Bei der Lektüre des historischen Kursbuches findet man weitere Angaben: Eine Münz-Vergleichs-Tabelle, die es erlaubt, die in Bayern gebräuchlichen Gulden (1 Gulden zu 60 Kr. à 4 Pf.) in Preußische (1 Thaler zu 30 Gr. à 12 Pf.) oder andere Währungen umzurechnen (1 Thaler = 1 Gulden 45 Kr.). Es wäre interessant, zu wissen, wie die 4 Gulden Personengeld in heutiger Währung einzuschätzen sind. Einen Anhaltspunkt liefert der Anzeigenteil, in dem ein Reiseführer durch München für 36 Kreuzer angeboten wi rd.

Ein weiteres Inserat aus dem Kursbuch von 1855 - wegen der Bedeutung für Freising - im Wortlaut zitiert:
"Die Königl. Bayerische landwirtschaftliche Centralschule in Weihenstephan bei Freising. In den stattlichen Baulichkeiten eines vormaligen Benediktinerklosters ist diese Königliche Anstalt auf einer freundlichen Anhöhe westlich und nur zehn Minuten von Freising entfernt gelegen. Es werden dort in zwei Jahrescoursen die gesammten Landwirthschaftswissenschaften vorgetragen und dabei die praktische Ausbildung der Studirenden trefflich gepflegt. Eine wohleingerichtete Gutswirthschaft mit den verschiedensten Betriebszweigen, als: Schweizerei, Schäferei, Baumschule, Ziegelei, Brauerei und Brennerei, ebenso wie die benachbarten Königlichen Staatswaldungen, unterstützen die praktischen Demonstrationen in der Land- und Forstwirthschaft. - Die Anstalt selbst hat verschiedene dem Zweck entsprechende Sammlungen, eine Bibliothek, ein chemisches Laboratorium, ein Technologium, eine Anatomie, eine Apotheke, ein Saamenkabinet, ein Versuchsfeld und ein Lesezimmer. Die Frequenz der Anstalt hat in den letzten Jahren bedeutend zugenommen und besteht gegenwärtig in siebenzig Studirenden, welche zum größten Theile in der Anstalt selbst wohnen. Die Gesammtdurchschnittskosten per Unterrichtsjahr für Wohnung, Honorar, Kost, Holz, Licht und Bedienung belaufen sich auf circa 310 Gulden oder 177 Thlr. Pr. Cour. - Der Eintritt geschieht gewöhnlich am 15. April oder am 15. October. Für Ausländer, welche sich in den landwirthschaftlich-technischen Gewerben, namentlich in den bayrischen Braumethoden ausbilden wollen, ist hier die umfassendste und beste Gelegenheit geboten."

Doch zurück zu den eigentlichen Auskünften des Kursbuches von 1855: Im dünnen Eisenbahnnetz waren München und Berlin (über Augsburg - Nürnberg - Hof - Leipzig) bereits verbunden. Der Fahrplan für diese Reisetour: aus München 7.15 früh, in Leipzig 11 Uhr abends, aus Leipzig 5 Uhr früh, in Berlin 10.30 vormittag nach 27 1/4 Stunden.

Am 3. November 1858 wurde die Bahnlinie München - Landshut eröffnet, wodurch die Fahrzeit von Freising nach München mit täglich drei Zugverbindungen auf 1 bis 2 Stunden schrumpfte. Die weitere Entwicklung bis heute zeigt die folgenden Tabelle:
Jahr Fahrzeit  (schnellste Verbindung) Anzahl der Zugverbindungen
1867 
1914 
1928 
1939 
1965 
1988
51 Min. 
38 Min. 
38 Min. 
33 Min. 
26 Min. 
23 Min.

16 
12 
22 
32 
Mo-Fr 62/Sa 51/So 43
Natürlich darf bei dieser "Fahrplan-Geschichte" Freisings die 1909 eröffnete Lokalbahn nach Mainburg nicht vergessen werden. Bei den in den Kursbüchern von 1914 und 1965 angegebenen Fahrzeiten (Freising - Mainburg ca. 2 Std. 20 Min. bzw. 1 Std. 35 Min.) verwundert es nicht, dass die Linie schließlich stillgelegt werden musste.

Nähere Betrachtung verdient das Kursbuch von 1928: Der in obiger Tabelle auffällige Rückgang des Zugverkehrs im Vergleich zu 1914 ist im Kontext der Geschichte zu sehen; nach dem 1. Weltkrieg musste nämlich Deutschland umfangreiches Material als Reparation an die Siegermächte übergeben. Insbesondere sucht man einen gegen 7 Uhr in München ankommenden Personenzug (damals noch mit 4. Klasse) vergebens. Ein Pendeln zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz, wie es heute vielfach üblich ist, kannte man vor dem 2. Weltkrieg offenbar kaum. Auch über das Freizeitverhalten der Bevölkerung gibt das historische Kursbuch Auskunft: Zwar gab es ein reichliches Fahrplanangebot an Sonntagen von München nach Starnberg; einige Züge verkehrten nur bei gutem Wetter ("Die Abfertigung der nur für gutes Wetter vorgesehenen Züge wird auf den Stationen durch rot-gel be Fahne angezeigt" ). Ein Griechenland-Urlaub dürfte dagegen selten gewesen sein: Die Fahrt von München nach Athen dauerte über 60 Stunden (mit dem "Akropolis" heute: 39 Stunden, von Flugzeugen ganz zu schweigen!).

Ein weiterer Zeuge der Geschichte ist das "Deutsche Kursbuch" vom Sommer 1939. Bei dem bis zum 2. Weltkrieg zentral auf Berlin ausgerichteten Eisenbahnnetz zählt man fünf durchgehende Züge von München über Regensburg - Hof - Leipzig nach Berlin (Anhalter-Bahnhof), von denen der schnellste 9 Std. 18 Min. brauchte. Heute gibt es über Regensburg - Hof nur noch einen einzigen Zug, der bis Berlin Friedrichstraße gut 10 Stunden benötigt; dabei legt er die Strecke Hof -Berlin in etwa 6 Stunden zurück, während man 1939 dafür meist nur 5 Stunden rechnen musste.

Aktuelle Ergänzung

Da der Zeitungsartikel selbst schon Geschichte ist, seien hier einige aktuelle Daten angefügt:
Von Freising nach München gibt es heute (Jahr 2006) Mo-Fr 51 S-Bahnen und 38 lokbespannte Züge, insgesamt also 89 Verbindungen, von denen die schnellste 24 Minuten benötigt.
Durchgehende Verbindungen von München nach Athen gibt es seit dem Krieg in Jugoslawien nicht mehr.
Seit der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze und dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes 1990 gibt es wieder zahlreiche Verbindungen nach Berlin, wobei jedoch die schnellere Verbindung mit ICE über Nürnberg - Lichtenfels führt; über Regensburg - Hof nach Berlin gibt es keine durchgehenden Verbindungen mehr.
 

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